Römerstraße 71, 89077 Ulm, Tel: 0731/382766

Entspannen Sie sich! Bitte!

02.04.2015
Von Ralph Rückert, Tierarzt

Sie kommen zu mir, um Rat und Hilfe zu erhalten. Was auch immer ich Ihnen in diesem Zusammenhang zu sagen habe, ist gern mal nicht ganz unwichtig für Sie und Ihr Tier. Ich bin also dringend darauf angewiesen, im Rahmen dieser Kommunikation Ihre volle Aufmerksamkeit zu genießen. Dies wird aber nicht selten dadurch zunichte gemacht, dass Sie sich dafür verantwortlich fühlen, was Ihr Tier während unseres Gesprächs so alles in meinem Sprechzimmer anstellt. Das ist nachvollziehbar, denn überall sonst ist das auch dringend erforderlich. In unserer Praxis gelten aber andere Regeln. Deshalb: Bitte, bitte, entspannen Sie sich!
Fast alle Hunde und auch so einige Katzen können sich während eines an sich stressigen Tierarztbesuchs durch aktives Erkundungsverhalten gut abreagieren. Deshalb bitten wir Sie eigentlich grundsätzlich, Ihren Hund im Behandlungszimmer erst mal abzuleinen, damit er sich ein wenig umtun kann, bevor er untersucht oder behandelt wird. Bei Katzen öffnen wir gern den Transportbehälter und überlassen dem Tier die Entscheidung zwischen Zurückhaltung oder Erkundung. Die Beobachtung Ihres Tieres in dieser Phase ist für mich häufig nicht unwichtig zur Einschätzung des weiteren Vorgehens und eventueller gesundheitlicher Probleme.

Dabei können die Tiere bestimmte Verhaltensweisen zeigen, die Sie als Besitzer normalerweise zum schleunigsten Eingreifen bewegen würden: Katzen springen auf Arbeitsflächen, um zwischen empfindlichen medizinischen Geräten herumzustolzieren, oder sie erkunden jede sichtbare Öffnung durch Hineinschlüpfen. Hunde stellen ihre Vorderpfoten auf Medizinschränke, weil sie da oben irgendwo die Leckerchen riechen können, oder sie springen bzw. betteln uns an. Lassen Sie sie bitte machen! Greifen Sie nicht ein!

Speziell Hunde sind absolut fähig zu verstehen, dass ein bestimmtes Verhalten nicht generell, aber in dieser besonderen Situation und mit speziell diesen Personen (also uns) akzeptabel ist. Ein Hund, der an mir hochspringt, tut das nicht zwangsläufig bei allen anderen Leuten. Sie müssen verstehen, dass es für mich als potenzielle Angstfigur von enormer Wichtigkeit ist, ein möglichst gutes Verhältnis zu Ihrem Tier aufzubauen. Dazu gehören auch kalkulierte „Regelverstöße“ in Bezug auf Leckerchen, Körperkontakt und ähnliches. Wird mir irgendein Verhalten zu viel, bin ich als alter Hase durchaus in der Lage, dies effektiv zu unterbinden.

Und ich bitte Sie inständig: Lassen Sie auch Ihre jeweilige Trainingsphilosophie vor der Tür meines Sprechzimmers. Das ist nicht die Welt da draußen, für die der Hund normalerweise erzogen wird, und das weiß er auch ganz genau. Es geht nur darum, dass wir unser gemeinsames Ziel erreichen, nämlich die auch für uns sichere Untersuchung und Behandlung Ihres Tieres möglichst geschmeidig und stressfrei gebacken zu bekommen. In den allermeisten Fällen wissen wir ziemlich genau, mit welchen Mitteln wir das auch erreichen können. Legen Sie uns bitte nur keine Steine in den Weg.

Es mag ja sein, dass eine bestimmte Erziehungsmethodik zum Beispiel körperliche Berührungen des Hundes durch Fremde weitgehend zu unterbinden sucht; das aber auch von uns zu verlangen, ist einfach unsinnig. Wir sind zu unserer Sicherheit in vielen Fällen auf Körperkontakt zum Tier dringend angewiesen. Ich bin der einzige Mensch auf der Welt, der von Ihnen den beruflichen Auftrag bekommt, Ihrem Tier von Zeit zu Zeit weh zu tun. Ich kann also mit absolut keiner anderen Person gleichgesetzt werden und stehe außerhalb jeglicher erziehungstheoretischer Ansätze. Bekommen Sie also bitte auch keinen Schock, wenn Ihr Hund, der ansonsten in seinem ganzen Leben noch nie mit einem Abbruch-Signal konfrontiert worden ist, von mir einen Anpfiff kassiert, weil er so rumkaspert, dass ich ihm nicht ins Ohr schauen kann. Das fügt ihm keinen Schaden fürs Leben zu, und er verknüpft das auch absolut nur mit meiner Person.

Das bringt mich zu einem Punkt, der mich schon lange beschäftigt. Ihr Hundeschulen da draußen, hört Ihr mich auch laut und deutlich? Viele der nach modernen Methoden erzogenen Hunde haben nach unserer Erfahrung ein Problem: Ihre Frustrationstoleranz ist gleich Null und sie haben nie gelernt, sich mit einer temporären Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit oder weitreichenden Manipulationen an ihrem Körper, wie sie auf dem Behandlungstisch beim Tierarzt nun mal die Regel sind, abzufinden.

Ich möchte es an dieser Stelle nur mal sicherheitshalber erwähnt haben: Der Hund wird nicht mit der Fähigkeit geboren, sich ohne Widerstand in den Hals schauen oder sich ein Fieberthermometer in den Hintern stecken zu lassen. Auch das muss und kann er lernen. Und es macht später durchaus einen Unterschied in der Qualität der tiermedizinischen Versorgung, wie kooperativ sich ein Hund in der Tierarztpraxis verhält. Hochgradig abwehrbereite Tiere werden nach unserer Erfahrung oft aus nachvollziehbaren Gründen schlechter untersucht und behandelt. Sollten Sie kein Kunde einer der leider dünn gesäten Hundeschulen sein, die (ein klares Qualitätsmerkmal!) das Training für einen Tierarztbesuch im Programm hat: Wir zeigen und erklären Ihnen gern, wie man dem Hund beibringen kann, sich verschiedene körperliche Manipulationen ohne Rumzickerei gefallen zu lassen. Die investierte Mühe zahlt sich später in vielen Fällen nicht nur für uns, sondern auch für Sie als Besitzer mehr als aus. Wenn jede noch so harmlose Maßnahme gleich in immensen Stress ausartet oder man dafür gar eine Sedierung oder Narkose benötigt, kann das langfristig ganz schön ins Geld gehen.

In dem Moment aber, um den es hier geht, also wenn Sie bereits mit Ihrem Hund bei uns im Sprechzimmer sind, ist sowieso alles zu spät. Hat der Hund bis dahin nicht gelernt, mit einem Tierarztbesuch locker oder wenigstens beherrscht umzugehen, können Sie jetzt auf die Schnelle auch nichts mehr dran ändern. Also entspannen Sie sich! Bitte! Wir kommen schon klar. Sie müssen nur damit zurecht kommen, dass wir eventuell unseren Willen etwas deutlicher zum Ausdruck bringen als es Ihr Hund gewohnt ist.

Katzenbesitzer brauchen sich da gar nicht erst angesprochen fühlen. Es hängt von so vielen individuellen und auch prägungsbedingten Faktoren ab und liegt klar außerhalb Ihrer Verantwortung, wie sich Ihre Katze beim Tierarzt benimmt. Natürlich könnte man auch bei Katzen erziehungsmäßig was machen, gerade Clicker-Training wäre gut vorstellbar, aber das setzt so viele Kenntnisse voraus, dass wir damit gar nicht erst anfangen wollen. Wir wissen, wie wir mit Katzen umgehen müssen, auch mit der extrem abwehrbereiten Sorte. Sie müssen nur akzeptieren, dass wir zur Eigensicherung öfter mal gezwungen sind, Vorsichtsmaßnahmen wie die Verwendung von Schutzhandschuhen oder (im Extremfall) den Einsatz einer Beruhigungsspritze zu treffen. Kommt es doch mal zu Gefauche und Gekratze: Bitte greifen Sie auf keinen Fall in das Getümmel ein, Ihre Katze kennt in dieser Situation weder Freund noch Feind. Sie könnten ernsthaft verletzt werden!

Abschließend sei noch eine Sache erwähnt, bei der Sie dann doch nach unserem Geschmack zu sehr tiefenentspannt sein könnten: Wenn Sie schon wissen, dass Ihr Hund gern mal schnappt, wenn man ihm an die Ohren geht, oder Ihre Katze zur Furie wird, kaum dass man sie berührt, oder Ihr Kaninchen sofort zum Paniksprung ins Nichts ansetzt, sobald der Transportbehälter offen ist - dann sagen Sie das doch bitte vorher! Jeder, der in unserem Beruf arbeitet, ist schon mehrmals und teilweise mit übelsten Konsequenzen (siehe der teilamputierte linke Zeigefinger meiner Frau) von Tieren verletzt worden, wo der Besitzer hinterher mit halb verlegenem, halb stolzem Grinsen verkündet hat: "Ach ja, hätte ich vielleicht sagen sollen, da steht sie/er gar nicht drauf!".

Also: Wir wissen, dass der Besuch in unserer Praxis unter bestimmten Umständen nicht nur für Ihr Tier, sondern auch für Sie als Tierbesitzer sehr stressig sein kann. Wir erkennen voll und ganz an, dass Sie alles richtig machen und Verantwortung für das Verhalten Ihres Tieres übernehmen wollen. Aber bitte vertrauen Sie uns und unserer Erfahrung. Ihre mentale Verfassung überträgt sich schließlich auch auf Ihr Tier, weshalb Sie schon zu Hause, also noch vor Ihrem Termin bei uns, darauf achten sollten, möglichst gelassen zu bleiben. Entspannen Sie sich so gut es eben geht und denken Sie an das sattsam bekannte Schild im Zug oder in der Seilbahn: „Den Anweisungen des Personals ist Folge zu leisten.“ Wir machen das schon!

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert


© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Bei den Quellen 16, 89077 Ulm / Söflingen

Sie können jederzeit und ohne meine Erlaubnis auf diesen Artikel verlinken oder ihn auf Facebook bzw. GooglePlus teilen. Jegliche Vervielfältigung oder Nachveröffentlichung, ob in elektronischer Form oder im Druck, kann nur mit meinem schriftlich eingeholten und erteilten Einverständnis erfolgen. Von mir genehmigte Nachveröffentlichungen müssen den jeweiligen Artikel völlig unverändert lassen, also ohne Weglassungen, Hinzufügungen oder Hervorhebungen. Eine Umwandlung in andere Dateiformate wie PDF ist nicht gestattet. In Printmedien sind dem Artikel die vollständigen Quellenangaben inkl. meiner Praxis-Homepage beizufügen, bei Online-Nachveröffentlichung ist zusätzlich ein anklickbarer Link auf meine Praxis-Homepage oder den Original-Artikel im Blog nötig.