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Ein echtes Groschengrab: Die Katze mit FORL*

27.10.2018

Von Ralph Rückert, Tierarzt


Zuerst die schon in anderen Artikeln erläuterten Fakten:


1. Mindestens 50 Prozent aller Katzen über 5 Jahren leiden unter Resorptivläsionen. FORL* kann aber auch schon viel früher im Leben auftreten (siehe Fotos!).


2. FORL gilt als eine der schmerzhaftesten chronischen Erkrankungen der Katze.


3. Befallene Zähne müssen zum Erhalt einer schmerzfreien Mundhöhle sicher erkannt und dann extrahiert werden.


4. Dies ist nur durch dentale Röntgenaufnahmen möglich.


Ohne dentale Röntgenausstattung und ohne ihre konsequente Anwendung bei JEDER Katze ist eine korrekte Zahnbehandlung schlicht unmöglich! Die Bilder zeigen Fotos und Röntgenbilder vom Gebiss eines gerade mal zwei Jahre alten Katers. Rein optisch kann man mit etwas Erfahrung natürlich gut erkennen, dass mit den Zähnen ordentlich was faul ist, aber erst die Röntgenbilder zeigen das wahre Ausmaß dieser für das Tier entsetzlich schmerzhaften Katastrophe: FORL plus aggressive Parodontitis mit hochgradigem Knochenabbau! Kein einziger Backenzahn ist erhaltungswürdig! Die müssen alle raus!

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Dieser Fall zeigt beispielhaft, dass eine Katze in keinem Alter sicher vor FORL (und Parodontitis) ist. Deshalb und wegen der extremen Schmerzhaftigkeit solcher Zahndefekte wäre es fachlich falsch und geradezu unethisch, nicht bei JEDER Katze, die aus zahnmedizinischen Gründen – und sei es nur für eine vermeintlich simple Zahnreinigung – in Narkose gelegt wird, ein sogenanntes Full-Mouth-Dentalröntgen mit mindestens sechs Aufnahmen routinemäßig durchzuführen.


Und damit wären wir beim Groschengrab aus der Überschrift. Wir erleben immer mal wieder, dass Katzenbesitzer angesichts unserer Kostenvoranschläge aus allen Wolken fallen, in der Folge ein bisschen rumtelefonieren und letztendlich irgendwo eine Zahnreinigung (natürlich ohne Röntgen!) zum Discount-Preis buchen. Das ist gewiss erfreulich für den Geldbeutel, aber mit einer nicht unbeträchtlichen Wahrscheinlichkeit ganz übel für die Katze, denn sie hat nach dieser Maßnahme wunderschön glänzende Zähne, die trotzdem immer noch mörderisch weh tun. Aus Sicht der Katze war das also ganz einfach rausgeschmissenes Geld und eine völlig unnötige Narkose!


Ich kann sehr gut verstehen, dass die technische und fachliche Entwicklung der letzten Jahre in der Katzenzahnmedizin einen als Tierbesitzer manchmal schier zur Verzweiflung treiben kann. Die so bestürzend häufige FORL macht aus der doch traditionell als anspruchsloses und kostengünstiges Haustier geltenden Katze plötzlich ein richtig teures Hobby, denn die befallenen Zähne müssen unbedingt so früh wie möglich identifiziert und entfernt werden. Ich kann es aber nicht ändern und habe die Krankheit auch nicht erfunden.


Apropos Entfernen: Auch die korrekte und vollständige Extraktion der befallenen Zähne ist nur unter Röntgenkontrolle machbar. Man beachte in unserem Beispiel die auffallend dünnen und teilweise schon an- oder durchgefressenen Zahnwurzeln! Ohne dentale Röntgenaufnahmen, die einem zeigen, wo es lang geht, reißt man bei Extraktionsversuchen allenfalls die Zahnkronen runter, lässt aber garantiert Wurzelreste im Kiefer zurück, die dann wieder schrecklich weh tun.


Der typische Ablauf der korrekten Behandlung einer von FORL betroffenen Katze sieht also stichpunktartig so aus:


1. Voruntersuchung und Narkose


2. Eingehende Zahnuntersuchung und Anlegen eines Zahnschemas


3. Full-Mouth-Dentalröntgen und Befundung der Aufnahmen


4. Professionelle Zahnreinigung


5. Entfernung der von FORL befallenen Zähne, meist in sogenannter offener Technik mit anschließender Naht. Dieser Punkt kann aufgrund der sich bei FORL-Zähnen oft als sehr schwierig erweisenden Extraktionen den Löwenanteil der Narkosedauer für sich in Anspruch nehmen. Katzen, bei denen mehrere Zähne entfernt werden müssen, liegen für die genannten Maßnahmen häufig länger als zwei Stunden auf dem Zahntisch. Es gibt sogar Fälle (wie unseren Beispielkater), in denen ich mich aus Sicherheitsgründen dafür entscheide, im ersten Anlauf nur die Zähne in zwei der vier Quadranten zu extrahieren, um mir dann in einer zweiten Narkose ein paar Wochen später die restlichen Extraktionen vorzunehmen.


6. Gegebenenfalls Kontrollröntgen nach den Extraktionen


Es dürfte offensichtlich sein, dass die dargestellte Vorgehensweise mit der früher bzw. leider auch heute noch üblichen Discount-Zahnreinigung, bei der Sie für Ihr Geld im schlimmsten Fall nur die Punkte 1 und 4 bekommen, preislich nicht mal ansatzweise vergleichbar ist. Auch die im Netz so häufig zu lesende Frage nach den Kosten einer Katzen-Zahnsteinentfernung wird dadurch ad absurdum geführt, denn erst nach Anfertigung der Röntgenaufnahmen steht fest, welche Maßnahmen bei der betreffenden Katze notwendig werden.


Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass alle Leserinnen und Leser, die für ihre Katze einen Zahntermin vereinbaren, für ihr Tier nur das Beste wollen. Ich verstehe auch voll und ganz, dass man sich – wenn es im Geldbeutel ein bisschen klemmt – nach dem besten Angebot umhört. Was dabei aber nicht passieren darf, ist der Vergleich von Äpfeln mit Birnen! Wenn sich zwei Katzenbesitzer unterhalten, und der eine hat für eine Zahnbehandlung inklusive der Punkte 1 bis 6 nach obiger Aufstellung über 500 Euro, der andere aber (für die Punkte 1 und 4) nur 150 Euro bezahlt, dann hat einer für seine Katze alles richtig gemacht und der andere aller Wahrscheinlichkeit nach 150 Euro einfach zum Fenster rausgeworfen. Es ist mir wirklich ein dringendes Anliegen, dass Sie diesen Punkt verstehen und abspeichern!


Ab und zu kommt jemand und möchte aus Kostengründen bei uns einen Termin nur zur Zahnreinigung, also ohne Röntgen. So leid es mir tut, aber das lehnen wir inzwischen ab. Wie das halt so ist mit dem medizinischen Fortschritt: Ist die Karotte erst mal raus aus dem Boden, kann man sie nicht zurückstopfen. Wir wissen, was FORL ist, wir wissen, wie enorm häufig die Krankheit auftritt, und wir wissen, wie weh sie tut, und damit gibt es kein Zurück mehr: Liegt eine Katze eh schon wegen ihrer Zähne in Narkose, dann MUSS sie auch komplett durchgeröntgt werden, wenn man nicht vorsätzlich was falsch machen will!


*Bevor ich – wie bei anderen Gelegenheiten – mal wieder darüber belehrt werde, dass die besprochene Zahnkrankheit nach der offiziellen medizinischen Sprachregelung inzwischen nicht mehr FORL (Feline Odontoklastische Resorptivläsionen), sondern RL (Resorptivläsionen) genannt wird: Das ist mir bewusst! Begründet wird dies damit, dass es Resorptivläsionen durch Odontoklastenaktivität nicht nur bei der Katze, sondern auch bei Mensch und Hund gibt. Diese Namensänderung mag zwar einer gewissen medizinischen Logik folgen, ist aber in meinen Augen trotzdem ärgerlich. Im Interesse aller Katzen ist es von entscheidender Bedeutung, dass möglichst vielen Besitzern diese Krankheit bewusst ist oder wird. Ein Namenswechsel mitten in diesem Prozess ist in meinen Augen absolut kontraproduktiv und schlecht zu vermitteln. Zudem kann man die griffige Abkürzung FORL als Wort aussprechen, RL aber nicht. Ich werde deshalb für den Rest meiner Laufbahn bei FORL bleiben.


Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr


Ralph Rückert


© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm


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