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Ein Satz heiße Ohren! - Ohrenentzündungen bei Hunden

16.07.2022

Von Johanne Bernick, Tierärztin


Gerötete Ohrmuscheln, Bekratzen, Kopfschütteln, die vermehrte Produktion von Zerumen (Ohrenschmalz, Ohrwachs), gegebenenfalls ein fieser Geruch aus einem oder beiden Ohren, im schlimmsten Fall sogar eine Kopfschiefhaltung: All diese Symptome können Hinweise auf eine Erkrankung der Ohren, genauer: der Gehörgänge sein. In so einigen Fällen aber stellen wir Ohrenentzündungen bei der jährlichen Impfuntersuchung fest, ohne dass den Halter:innen bis dato eines der oben genannten Symptome aufgefallen ist.


Um den Ausrufen "Sowas kann man doch gar nicht NICHT mitbekommen!" gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Doch, das kann passieren, denn Sie als Halter:innen können in den allermeisten Fällen nicht den gesamten Gehörgang, geschweige denn das Trommelfell, zu Hause beurteilen und sind somit von eindeutigen Symptomen abhängig.

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Bei dem geringsten Verdacht auf eine Entzündung der Ohren sollte eine vollständige Untersuchung beider Ohren stattfinden. Dazu gehören von außen nach innen: Die Pinna, hier in der Region auch liebevoll Ohrwaschel genannt, der Gehörgang und das Trommelfell. Die Pinna besteht aus Knorpel, welcher von beiden Seiten mit Haut überzogen ist. Von der Ohrmuschel ausgehend verläuft der knorpelige Gehörgang erst vertikal und macht dann einen Knick nach horizontal (in einem Winkel von ca 75°). Um diese Knickstelle mittels Otoskop überwinden zu können, haben Sie gegebenenfalls schon beobachtet, dass wir einen sanften Zug auf die Pinna ausüben. Der Gehörgang ist mit zahlreichen Drüsen ausgekleidet, die maßgeblich an der Bildung des Zerumens (Ohrenschmalz) beteiligt sind. Das Zerumen hat eine Art Abwehrfunktion, kann Fremdkörper mobilisieren und hält das Trommelfell feucht und beweglich.


Am Ende des horizontalen Gehörgangteils steht das Trommelfell. Es beschreibt also die Grenze zwischen äußerem Ohr und dem Mittelohr. Es ist eine semitransparente Membran, welche besonders anfällig für Verletzungen durch Fremdkörper ist. Bis hier hin können wir mit dem Otoskop sehen.


Das sich anschließende Mittelohr besteht aus der Paukenhöhle (Cavum tympani), die die Gehörknöchelchen enthält, die maßgeblich zur Schallweiterleitung vom Trommelfell zum Innenohr beitragen. Über die Eustachische Röhre (Tuba auditiva) besteht eine Verbindung zwischen Paukenhöhle und Rachenraum, von deren Funktion wir vor allem beim Druckausgleich Gebrauch machen (tiefes Schlucken oder Gähnen beim Fliegen).


Das Innenohr liegt bereits im Schädelknochen und ist über zwei kleine Fenster mit dem Mittelohr verbunden. Es ist aus einem komplexen Hohlraumsystem (Cochlea) aufgebaut und enthält eine Flüssigkeit (Perilymphe), die die Umwandlung der weitergeleiteten Schallwellen in nervale Reize ermöglicht. Ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen: Hier findet das eigentliche Hören statt. Und als ob das noch nicht genug wäre, entsteht hier auch noch der Gleichgewichtssinn (wie steht/bewegt sich mein Körper im Raum).


Betrachtet man diverse unterschiedliche Hunderassen, wird schnell klar, dass es auch bezüglich der Ohren große Unterschiede gibt. Der offensichtlichste Unterschied ist der zwischen Steh- oder Hängeohren. Hunde mit hängenden Ohren, die gegebenenfalls eine ordentliche Masse an Haaren tragen, haben ganz allgemein schlechter belüftete Ohren. Geht beispielsweise ein Cocker Spaniel gerne und ausgiebig schwimmen, hat er wesentlich größere Probleme, den feucht gewordenen Gehörgang zu trocknen. Solche Umstände können eine Entzündung der Ohren bereits begünstigen.


Ebenso haben kurzköpfige Rassen auch hier wieder einen Nachteil: Teilweise lassen sich ausgeprägte Stenosen (Verengungen) des äußeren Gehörgangs beobachten, welche den Abtransport von Zerumen von innen nach außen deutlich erschweren und somit Potential zur Dauerbaustelle haben.


Und dann gibt es noch das große Thema der behaarten Gehörgänge bei beispielsweise den Pudeln. Teilweise neigen einzelne Rassevertreter zu extremer Behaarung und Verfilzungen in den Ohren. Dies kann zu einem Fremdkörperreiz und einer nachfolgenden Entzündung führen. Und um die leidige Diskussion "Zupfen oder nicht" vorweg zu nehmen: Fragen Sie drei Tierärzte, bekommen Sie fünf Antworten... Die individuellen Unterschiede lassen hier keinen allgemeingültigen Rat zu! Durch das Zupfen der Haare entstehen Mikroläsionen, die ein Ansiedeln von Bakterien ermöglichen, da die Hautbarriere gestört ist. Eine nachfolgende Spülung mittels eines sanften Präparates ist deswegen zu empfehlen. Die Schmerzhaftigkeit des Zupfens veranlasst mich jedoch mittlerweile dazu, die vollständige Entfernung aller Haare in tiefer Sedierung oder sogar Vollnarkose mit anschließender Spülung zu favorisieren!


Neben den teilweise sehr individuellen Prädispositionen gibt es vielfältige primäre Ursachen für Entzündungen der Ohren, wobei ich mich im Weiteren auf die Otitis externa (die Entzündung des äußeren Gehörgangs) fokussieren werde. Die Bandbreite reicht von obstruktiven Erkrankungen wie Fremdkörpern (meist kleinen Pflanzenteilchen, Grannen), Tumoren und allgemeinen Stenosen (Verengungen des Gehörgangs) über entzündliche Ursachen (Infektionen mit Viren, allergische Hauterkrankungen, sowie Futtermittelallergien, Parasitosen wie Ohrmilben,...), bis hin zu Verhornungsstörungen der Gehörgangsauskleidung, beispielsweise verursacht durch eine Schilddrüsenunterfunktion.


Auf diese primären Ursachen, die die komplexe und sensible Funktionsweise eines Gehörganges stören, setzen sich meist auch noch Bakterien- und Hefepilzinfektionen. Der Körper zeigt vielfältige Reaktionen auf diese Stimuli, welche bei fehlender Ursachenbeseitigung in eine chronischen Otitis externa münden und sich auch auf das Mittel- und Innenohr ausbreiten können. Zügiges und konsequentes Handeln ist also unbedingt erforderlich, um das Gehör Ihres Tieres nicht aufs Spiel zu setzen.


Nach der oben bereits erläuterten Untersuchung der Ohren mittels Otoskop kann sich je nach Fall und Vorgeschichte einiges an Diagnostik anschließen. Wie immer macht es keinen Sinn, die Ohren als unabhängiges Organ zu betrachten. Vor allem bei immer wiederkehrenden Otitiden bedarf es einer fundierten und allumfassenden Diagnostik, die beispielsweise auch die Konsultation einer auf Dermatologie spezialisierten Praxis notwendig machen kann. Denn gerade zugrundeliegende Allergien werden ein immer größeres Thema.


In mehr Fällen, als man denken würde, ist sogar eine Vollnarkose notwendig, um die Ohren überhaupt korrekt behandeln zu können: Bei einer hochgradigen Verlegung des Gehörganges (durch Zerumen, Haare und Entzündungsprodukte) ist die Unversehrtheit des Trommelfells logischerweise nicht beurteilbar, und ein perforiertes Trommelfell ist eine klare Kontraindikation für die Anwendung einer Vielzahl von Ohrenmedikamenten. Zudem kann jedes Medikament erst die volle Wirkung entfalten, wenn auch etwas von ihm auf der Gehörgangsauskleidung ankommt. Nicht selten sind also vorsichtige und gründliche Ohrspülungen in Narkose nach der Probenentnahme (mikrobiologische Tupfer, Zytologien) unabdingbar, um die richtige Diagnose und Therapie zu ermöglichen.


Ganz schön komplex, das Ganze! Und spätestens an dieser Stelle sollte sonnenklar sein, warum eine "Vorbehandlung" in Eigenregie immer suboptimal bis gefährlich ist. Es scheint mittlerweile zum guten Ton unter Hunde:halterinnen zu gehören, mindestens ein Pflegeprodukt für jede Angelegenheit im Regal stehen zu haben. Das Angebot an Ohrpflegeprodukten ist riesig und die damit verbundenen Werbeversprechungen noch viel größer. Dabei kann man für das ein oder andere und in der Regel nutzlose oder gar schädliche Super-Allzweck-Produkt ein ganz nettes Sümmchen hinblättern!


In unseren Augen so richtig heikel und gefährlich ist die leider nicht selten vorkommende Eigenbehandlung einer Gehörgangsentzündung mit einem im Haushalt noch vorhandenen und gern auch inzwischen abgelaufenen Ohrmedikament aus tierärztlicher Hand. Einerseits kann die Anwendung vieler Produkte bzw. Medikamente (siehe oben) bei Vorliegen eines unerkannten Defekts (also eines kleines Loches) im Trommelfell schwere und vor allem längerfristige Schäden am Gehör Ihres Tieres verursachen. Auf der anderen Seite behindert eine Vorbehandlung im Zweifelsfall die vollständige und korrekte Diagnostik sowie die optimale medizinische Versorgung. Eine Zytologie mittels Abstrich oder aber eine Tupferprobenentnahme, um verschiedene Bakterien- und Pilzarten zu differenzieren und die passende Therapie zu ermitteln, fällt dann nämlich oft genug flach! Die eigenmächtige Anwendung tiermedizinischer Gehörgangsmedikamente kann Symptome maskieren, was sich bei einem eventuell vorhandenen Fremdkörper (bestes Beispiel: Mäusegersten-Granne!) im weiteren Verlauf als so richtig verhängnisvoll erweisen kann. Genau aus diesem Grund verweigern wir auch die Abgabe solcher Medikamente ohne Untersuchung des betreffenden Tieres, obwohl wir damit oft genug auf Unverständnis stoßen.


Lassen Sie uns also festhalten: Ein gesundes Ohr braucht keinerlei Pflegeprodukte, die die normale Keimflora des Ohres sogar heftig aus dem Gleichgewicht bringen können. Und ein krankes Ohr, ja, das braucht eben eine vollständige Untersuchung! Abwarten oder gar Selbstbehandlung sind keine Lösung! Allein schon deshalb, weil so eine Ohrenentzündung ziemliche Schmerzen bereiten kann. Wer als Kind mal das "Vergnügen" hatte, weiß wovon ich rede.


So ein kurzer Artikel kann die Komplexität der Gehörgangserkrankungen nicht mal annähernd darstellen. Dazu müsste man zum Buchformat übergehen. Ich will nur deutlich machen, dass es a) echt kompliziert sein kann, und Sie deshalb b) bitte die Finger weglassen und schnell einen Termin in Ihrer Tierarztpraxis vereinbaren sollten!


In diesem Sinne, halten Sie die Ohren steif, und bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihre


Johanne Bernick


 


© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm


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