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Tierkrankenversicherung - sinnvoll oder nicht?

24.02.2016

Von Ralph Rückert, Tierarzt


You never need a gun, until you need one badly! Du brauchst nie eine Pistole, bis du mal ganz dringend eine brauchst. Der Spruch lässt sich sinngemäß auch prima auf Versicherungen anwenden. Im Gegensatz zu anderen Ländern wie beispielsweise Großbritannien und Schweden kommen Tierkrankenversicherungen hierzulande nach wie vor nicht so richtig aus den Puschen. Für wen macht so eine Versicherung Sinn?

Ich bin absolut kein Freund davon, Risiken zu versichern, die einen nicht an den Bettelstab bringen können. So habe ich bis heute keine Hausratsversicherung, weil ich der Meinung bin, das von ihr abgedeckte und geringe Risiko gut selbst tragen zu können. Fällt eine Tierkrankenversicherung auch in diese Kategorie übertriebener Risikominimierung oder macht sie Sinn? Machen wir einen einfachen Test:


Fall 1: Eine Stubenkatze stürzt vom Balkon im dritten Stock auf den betonierten Vorplatz. Beim Tierarzt werden eine schwere Zahn- und Kieferverletzung, eine gerissene Harnblase und Frakturen des Beckens und eines Vorderbeines festgestellt. Durch intensive und aggressive Therapie unter Heranziehen von Spezialisten ist das alles zu managen, aber die Endabrechnung beläuft sich auf über 6000 Euro.


Fall 2: Ein Hund infiziert sich durch Trinken aus einer Pfütze mit Leptospirose. Die Krankheit wird - wie fast immer - relativ spät identifiziert und es kommt zu einem schweren Krankheitsverlauf mit Nieren- und Leberbeteiligung. Nach sieben Tagen stationärem Aufenthalt und intensiver Therapie kann das Leben des Tieres zwar als gerettet angesehen werden, aber es sind Behandlungsgebühren in Höhe von 4400 Euro aufgelaufen.


Jetzt gibt es vier Möglichkeiten:


- Sie zucken mit den Schultern und sagen: Okay, ganz schön herb, aber kein echtes Problem in meiner Einkommensklasse. Dann brauchen Sie keine TKV. Das eventuelle Risiko kann Sie nicht ruinieren, und man darf ja nicht vergessen, dass an die Versicherung gezahlte Beiträge auf Nimmerwiedersehen weg sind, wenn im Leben Ihres Tieres nichts wirklich Gravierendes passiert.


- Sie verziehen das Gesicht und sagen: Oha, das würde mir finanziell ganz schön weh tun und es würde lang dauern, bis ich mich davon erholt hätte. Dann wäre der Abschluss einer TKV für Sie erwägenswert.


- Sie zucken nicht nur mit den Schultern, sondern gleich mit dem ganzen Körper, und zwar zusammen, weil Sie sich denken: Das könnte ich niemals stemmen, ich müsste mein Tier in dieser Situation aus finanziellen Gründen einschläfern lassen. Dann halte ich eine TKV für Sie nicht nur für erwägenswert, sondern für annähernd unverzichtbar.


- Sie fallen sowohl über die genannten Summen als auch über die monatlichen Beiträge für eine Vollversicherung aus allen Wolken. Dann müssen Sie sich meiner Meinung nach eingestehen, dass Sie sich das Hobby Tierhaltung einfach nicht leisten können. Dieses Eingeständnis wäre keine Schande, sondern ein Zeichen von hohem Verantwortungsbewusstsein.


Für einen ziemlich großen Teil, wenn nicht gar die Mehrheit aller Tierhalter könnte also der Abschluss einer TKV sinnvoll sein. Wenn Sie die oben genannten Beispiele ins Grübeln gebracht haben, dann tun Sie es, und zwar am besten gleich morgen. Wir erleben nicht selten Fälle, in denen bei einem mit entsprechendem Aufwand an sich gut therapierbaren Patienten über die Euthanasie aus finanziellen Gründen diskutiert werden muss, eine ganz bittere und traumatische Erfahrung für alle Beteiligten. Lügen Sie sich nicht selbst in die Tasche mit der Hoffnung, dass schon nichts passieren wird. Der Teufel ist nun mal ein Eichhörnchen, und wenn der Super-GAU eingetreten ist, sind Sie definitiv zu spät dran. Außerdem: Es muss ja nicht immer zum Allerschlimmsten kommen, aber selbst ein simpler Bandscheibenvorfall mit der dabei nötig werdenden Diagnostik bis hin zum MRT kann bei einem durchschnittlichen Einkommen das Aus für den geplanten Familienurlaub in diesem Jahr bedeuten, wenn das Tier nicht versichert ist.


Wenn man als Tierarzt über dieses Thema schreibt, tanzt man natürlich auf Messers Schneide, weil einem sehr schnell unlautere Motive für eine Empfehlung von Krankenversicherungen unterstellt werden könnten. Es ist tatsächlich so, dass in allen Ländern mit einem hohen Prozentsatz krankenversicherter Tiere das allgemeine tiermedizinische Preisniveau deutlich höher ist als hierzulande. Ein in Schweden für eine AniCura-Klinik arbeitender Kollege berichtete mir erst neulich von 2800 Euro für eine Pyometra- und 4700 Euro für eine Magendrehungs-OP, beides am Wochenende bzw. bei Nacht. Das ist mindestens das Doppelte, wenn nicht sogar das Dreifache von dem, was in Deutschland im Schnitt üblich wäre. Ich bin nicht genug informiert, um sagen zu können, was in diesem Fall Ei oder Henne ist: Waren die Preise immer schon derartig hoch, so dass die Besitzer um Tierkrankenversicherungen gar nicht herum kamen, oder sind die Gebühren so weit gestiegen, weil versicherte Besitzer wenig Anlass zu Preisdiskussionen sehen?


Wir Tierärzte würden also sicher davon profitieren, wenn auch hier in Deutschland möglichst viele Besitzer ihre Tiere krankenversichern würden. Ich bin demzufolge in dieser Frage kein wirklich unparteiischer Ratgeber. Trotzdem lege ich mich fest: Wenn Sie nicht zu denen gehören, die im tiermedizinischen Notfall spontan über Beträge von 5000 Euro oder mehr verfügen können, sollten Sie wirklich über eine TKV nachdenken. Es mag ja sein, dass Deutschland immer noch ein tiermedizinisches Billigland ist, aber die Preise werden in den nächsten Jahren meiner Einschätzung nach massiv anziehen. Die aufgrund des technischen Fortschritts immer wichtiger werdenden großen Spezialisten-Zentren können sich schon allein wegen ihrer hohen Personal- und Gerätekosten nicht auf große Preiskämpfe einlassen. Und die aus Schweden und Großbritannien nach Deutschland eindringenden Praxis- und Klinikketten wie AniCura und Evidensia (ich habe ja schon über diese Entwicklung berichtet) kennen sich hervorragend damit aus, wie man den Markt erst unter Kontrolle bringt und dann die Preise konsequent in einen für Großinvestoren interessanten Bereich treibt.


Nun müssen Sie sich noch entscheiden, welche Art von Krankenversicherung Sie für Ihr Tier abschließen wollen. Grundsätzlich gibt es zwei Modelle (mit vielen Varianten): Die Vollversicherung und die Unfall- und Operationskosten-Versicherung. Die Vollversicherung ist beileibe nicht billig, übernimmt aber große Teile der über die Jahre anfallenden Tierarztkosten. Je nach Vertragsbedingungen, die es natürlich sorgfältig zu prüfen gilt, können sogar Zuschüsse zu prophylaktischen Maßnahmen wie Impfungen enthalten sein, aber andererseits auch Deckelungen auf jährliche Maximalbeträge in Bezug auf ambulante Behandlungen und auf Operationen und so und so hohe Selbstbeteiligungen.


Die Unfall- und Operationskosten-Versicherung übernimmt - wie der Name schon sagt - nur Kosten, die aus Unfällen und chirurgischen Eingriffen entstehen. Im oben beschriebenen Fall der vom Balkon gestürzten Katze wäre also ein Großteil der Kosten übernommen worden. Im Fall des an Leptospirose erkrankten Hundes hätten Sie mit so einer Versicherung Pech gehabt und wären auf den vollständigen Kosten sitzen geblieben. Man denke in diesem Zusammenhang auch an die vielen chronischen Erkrankungen, die in der Summe ordentlich ins Geld gehen können und von dieser Art Versicherung ebenfalls nicht abgedeckt werden. Schließt man also einen solcherart begrenzten Vertrag ab, sollte man nicht vergessen, einen ordentlichen Notgroschen für nicht unfallbedingte bzw. nicht-chirurgische Intensiv- und Dauerbehandlungen beiseite zu legen.


Warum schreibe ich ständig davon, dass ein Großteil der Kosten übernommen würde? Warum nicht alles? Das liegt an den Versicherungsbedingungen, die Sie - wie schon erwähnt - sorgfältig prüfen, vergleichen oder sich genau erklären lassen sollten, zum Beispiel von einem unabhängigen Versicherungsmakler. Wie Sie vielleicht wissen, können sich Tierärzte laut ihrer Gebührenordnung (GOT) bei der Berechnung jeder Leistung zwischen dem 1,0fachen und dem 3,0fachen Satz frei bewegen, und zwar je nach Lage des Falles und nach billigem Ermessen. Nicht jede Versicherung ist bereit, bis zum Höchstsatz (3,0fach) zu bezahlen. In vielen Fällen deckelt die Versicherung beim 2,0fachen Satz, was aber für den behandelnden Tierarzt keine wie auch immer geartete Verpflichtung bedeutet, nicht höher abzurechnen. Außerdem gibt es in vielen Vertragsmodellen Selbstbeteiligungen und darüber hinaus auch noch den Ausschluss bestimmter, insbesondere vererbbarer Erkrankungen von den Leistungen. Beispielsweise muss ein künstliches Hüftgelenk oder die Korrektur einer Kieferfehlstellung nicht in jedem Fall und von jeder Versicherungsgesellschaft abgedeckt sein. Diesbezüglich gilt es also auch die Leistungskataloge der in die engere Wahl kommenden Verträge genau unter die Lupe zu nehmen.


Auf Teilen der Rechnung bleibt man also in den meisten Fällen sitzen, was auch einer der Gründe ist, warum das mit der Abrechnung in der Tierarztpraxis meist nicht so einfach läuft wie bei gesetzlich versicherten Menschen beim Arzt. Normalerweise müssen Sie für die in Rechnung gestellten Gebühren erst mal in Vorleistung treten und sich dann zwecks Erstattung an Ihre Versicherung wenden. Privat versicherte Menschen kennen das ja zur Genüge. Rechnet ein Tierarzt direkt mit dem Versicherer des behandelten Tieres ab, so ist das ein auf Vertrauen basierendes Entgegenkommen, aber nichts, was Sie einfordern könnten. Wir haben durchaus schon erlebt, dass die angegebene Versicherung dem Patientenbesitzer schon vor Monaten gekündigt hatte oder dass der abgeschlossene Vertrag beileibe nicht alle von uns erbrachten Leistungen abdeckte.


Wann im Leben eines Tieres sollte man eine TKV abschließen? So früh wie möglich! Sie müssen wissen, dass die Versicherungsgesellschaft in der Regel nach dem behandelnden Tierarzt fragt und diesen dann dazu auffordert, über die Krankengeschichte des betreffenden Patienten erschöpfend Auskunft zu erteilen. Eine TKV erst abschließen zu wollen, wenn bereits ein Problem festgestellt wurde, das droht, sehr teuer zu werden, kann deshalb nicht funktionieren. Wir sind bei diesen Auskünften natürlich per Gesetz zur absoluten Ehrlichkeit gegenüber der anfragenden Versicherung verpflichtet. Da kann es keine Gefälligkeits-Tricksereien geben. Je gesünder das Tier bei Vertragsabschluss noch ist, desto besser für Sie.


Welcher Versicherungsgesellschaft sollte man den Zuschlag geben? Grundsätzlich der, die den am besten zu den eigenen Anforderungen passenden Vertrag anbietet. Ich persönlich würde dazu neigen, alten Versicherungen, die sich in diesem spezifischen Marktsegment schon sehr lange halten konnten, den Vorzug zu geben, da ich schon einige Anbieter mit sensationellen Tarifen die Arena betreten, aber auch genau so schnell und unter Hinterlassung viel verbrannter Erde wieder verlassen gesehen habe. Verbrannte Erde deshalb, weil solche Neulinge eben oft mit echten Dumping-Tarifen Marktanteile zu gewinnen versuchen, das Vertrauen der Versicherungsnehmer aber dann gern durch blitzschnelle Vertragskündigungen nach ein oder zwei Schadensfällen konsequent zerstören. Wer jetzt eine direkte Empfehlung erwartet, den muss ich enttäuschen. Das überlasse ich Fachleuten wie den schon erwähnten Versicherungsmaklern.


Eines der für mich erstaunlichsten Missverständnisse im Zusammenhang mit Tierkrankenversicherungen (bzw. Versicherungen überhaupt) kommt in der oft zu lesenden Frage zum Ausdruck, ob sich so eine Versicherung denn "lohnen" würde. Natürlich kann sich eine Versicherung nicht für alle Versicherten in dem Sinne "lohnen", dass sie mehr herausbekommen, als sie einzahlen. Das Grundprinzip jeder Versicherung - und damit auch einer Tierkrankenversicherung - besteht darin, mit dem Geld von vielen das Pech einiger weniger Kunden PLUS die Verwaltungskosten PLUS den Gewinn der Versicherungsgesellschaft zu finanzieren. Würde sich also eine Versicherung für alle Versicherungsnehmer "lohnen", wäre die Versicherungsgesellschaft ganz schnell pleite.


Trotzdem kann sich eine Tierkrankenversicherung natürlich wirklich lohnen, nämlich dann, wenn man von einem Ernstfall erwischt wird, der einem ohne Versicherung schwere, wenn nicht gar unüberwindbare finanzielle Probleme einbringen würde. Dann kann eine in weiser Voraussicht abgeschlossene TKV vieles erleichtern und im Extremfall sogar den Unterschied zwischen Leben und Tod das Haustieres bedeuten.


Denken Sie bitte darüber nach, und zwar jetzt, nicht wenn es zu spät ist!


Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr


Ralph Rückert


 


© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm


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