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Post hoc ergo propter hoc: Achtung, Falle!

28.09.2016
Von Ralph Rückert, Tierarzt

Als ich nach dem Abitur meinen Dienst als Fallschirmjäger in der Luftlandedivision der Bundeswehr antrat, war ich fit wie ein Turnschuh, rank und schlank, mit glatter Haut und gesunden Gelenken. Dann wurden mir von der Bundeswehr zwangsweise so einige Impfungen verpasst. Heute bin ich 57 Jahre alt, nicht mehr wirklich schlank, habe tiefe Falten, eine Leistenbruch-OP hinter mir, und mehrere Gelenke tun mir schon bei Alltagsbelastungen weh. Neulich habe ich Kontakt mit einigen Kameraden von damals aufgenommen, und denen geht es allen genau so beschissen. Was haben die uns damals nur angetan mit der Impferei???
Bild zur Neuigkeit
Jetzt grinst natürlich so gut wie jeder, weil der vorliegende Fehlschluss (Paralogismus) sonnenklar ist. Aber wie ist es denn damit, einem Zitat aus einer Facebook-Gruppe:

"Oh Leute! Ich bin so verzweifelt! Am Donnerstag wurde der Pluto geimpft und ist heute an den Hinterbeinen gelähmt! Er wurde in den Rücken gespritzt weil er vorne um sich beißt wie ein Irrer! Ich könnt nur noch heulen! Hat jemand sowas schon erlebt?"

Klingt schon viel logischer, oder? Ist aber trotzdem erstmal ein zwar weit verbreiteter, aber nichtsdestotrotz böser Fehlschluss, eine Denkfalle, in die man gelegentlich auch wissenschaftlich trainierte Menschen treten sieht. Dieser Fehler wird auf Latein mit "Post hoc ergo propter hoc" ("Nach diesem, folglich deswegen") bzw. "Cum hoc ergo propter hoc" ("Mit diesem, folglich deswegen") bezeichnet.

Der im obigen Zitat hergestellte Zusammenhang zwischen der Impfung und den danach aufgetretenen Lähmungserscheinungen ist zwar theoretisch möglich, aber keinesfalls zwingend. Ein erfahrener Tierarzt stuft die Wahrscheinlichkeit, dass die Impfung die Lähmung ausgelöst hat, als extrem niedrig ein und vermutet eine andere, von der Impfung völlig unabhängige Ursache. Genau so hat es sich in diesem Fall dann auch bestätigt, da im weiteren Zeitverlauf bei Pluto ein schwerer Bandscheibenvorfall als eigentliches Problem gefunden wurde.

Es geht aber schon noch ein wenig schwieriger: Ein befreundeter Kollege verabreichte einem Hund eine intravenöse Injektion mit dem Schmerzmittel Metamizol (besser bekannt unter dem Produktnamen Novalgin). Dabei muss man aufpassen und sehr langsam injizieren, weil es sonst zum Kreislaufkollaps kommen kann. Hund und Besitzer entfernten sich zu Fuß von der Praxis. Nach wenigen hundert Metern brach der Hund zusammen und verstarb so schnell, dass jede Hilfe zu spät kam. Klare Sache, oder? Und wieder lautet die Antwort: Nein! Der Hund wurde zur Vermeidung eines Rechtsstreits vernünftigerweise pathologisch untersucht. Er starb an einem Schock in Folge eines spontan rupturierten Hämangiosarkoms der Milz, das bereits massiv metastasiert hatte.

Ein weiteres Beispiel sind die immer wieder zu lesenden Berichte von Hunden, die angeblich in Folge von der und der Impfung (oder wahlweise von Entwurmungen oder SpotOn-Zeckenmitteln) Epilepsie bekommen haben sollen. In den allermeisten Fällen handelt es sich um Hunderassen, die für ein vermehrtes Auftreten von Epilepsie berüchtigt sind. In diesen Berichten werden Zeitspannen nach Impfung von wenigen Tagen bis zu drei Monaten angeführt. Wenn wir mal davon ausgehen, dass bis zu einem Vierteljahr nach der Impfung ein eventueller Zusammenhang unterstellt wird, so hat bei jährlicher Impfung (Leptospirose!) jeder Hund, der zum ersten Mal einen epileptiformen Anfall erleidet, eine Chance von immerhin 25 Prozent, dass das innerhalb dieser Zeitspanne passiert. Die Herstellung eines Zusammenhanges mit der Impfung ist auf dieser Basis einfach nicht möglich.

Es ist aber auf der Basis von noch so vielen isolierten Einzelfällen ebenfalls nicht möglich, den Zusammenhang zwischen Impfung und Epilepsie einfach von der Hand zu weisen. Was also tun? Große und eine Vielzahl von Patienten erfassende epidemiologische Studien , die noch nicht mal besonders kompliziert sein müssen, helfen da ganz trefflich weiter. Um zu ermitteln, ob Impfungen als unerwünschte Nebenwirkung Epilepsie verursachen können, wäre es zum Beispiel denkbar, in der Vorgeschichte von Epilepsie-Patienten zu ermitteln, in welchem Zeitabstand zur letzten Impfung der erste Anfall auftrat. Bei der statistischen Auswertung der gewonnenen Daten würde schnell deutlich, ob sich eine Häufung im ersten Vierteljahr nach der Impfung findet oder ob sich das gleichmäßig über das Jahr verteilt. Egal, was dabei heraus käme: Bei einer genügend großen Zahl von erfassten Patienten hätte das Ergebnis durchaus Beweiskraft. Alles andere aber ist einfach Humbug, Geschwätz und Wichtigtuerei!

So verführerisch "Post hoc ergo propter hoc" für unseren Geist auch sein mag: Versuchen Sie, nicht darauf hereinzufallen! Fragen Sie sich immer, ob ein instinktiv hergestellter Zusammenhang zwischen zwei Ereignissen wirklich zwingend und beweisbar ist. Ist das nicht der Fall, müssen Sie erst nach Beweisen suchen, bevor Sie sich äußern, denn sonst verbreiten Sie nicht mehr als ein Gerücht.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert


© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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