Römerstraße 71, 89077 Ulm, Tel: 0731/382766

Ein Fall von Kompostvergiftung beim Hund

24.03.2019

Von Ralph Rückert, Tierarzt


Hundehalter haben häufig einen Garten. In vielen Gärten findet sich heutzutage ein Komposthaufen. Hat man selber keinen, hat der Nachbar einen, und das gern mal an der Grundstücksgrenze, also für den Hund eventuell doch erreichbar.


Vielen Hundebesitzern mag nicht bekannt sein, dass von Kompost eine nicht unbeträchtliche Vergiftungsgefahr für ihr Tier ausgehen kann. Deshalb hier eine kurze Darstellung der Kompostvergiftung von Leyla, einer 3-jährigen, intakten und 36 kg schweren Cane-Corso-Hündin. Die Fotos zeigen Leyla einmal in ihrer ganzen Schönheit und einmal bei ganz schlechtem Befinden während der Behandlung.

Bild zur NeuigkeitBild zur Neuigkeit

Ende Februar kam Oliver, Leylas Besitzer, gegen Abend von der Arbeit nach Hause und fand die Hündin im Garten vor, wo sie durch ein familiäres Versehen bzw. Missverständnis für kurze Zeit alleine und unbeaufsichtigt war. Leyla begrüßte Oliver und legte sich dann auf die Couch. Kurz darauf musste sie würgen und übergab sich schwallartig. Aus dem erbrochenen Mageninhalt war klar ersichtlich, dass sich Leyla an einem alten Komposthaufen bedient haben musste, für Oliver, der die Hündin als eher heikle "Feinschmeckerin" bezeichnet, sehr überraschend.


Nach dem Erbrechen entwickelte Leyla mit bestürzender Geschwindigkeit (innerhalb weniger Minuten) geradezu furchterregende Symptome: Anfängliches Zittern steigerte sich zu generalisierten Krämpfen mit Verlust der Steh- und Gehfähigkeit und heftigem Grimassenschneiden. Wie man sich das in etwa vorzustellen hat, kann man sich in diesem Video-Clip der Tierklinik Schwanenstadt (Österreich) ansehen.


Oliver und seine Frau Kerstin packten Leyla sofort ins Auto und fuhren mit ihr zum AniCura-Kleintierzentrum Neu-Ulm. Noch während der etwa 20-minütigen Fahrt informierten sie telefonisch die Praxis, so dass diese bis zu ihrer Ankunft noch schnell entsprechende Vorbereitungen treffen konnte.


Die Kolleginnen und Kollegen haben mir für diesen Artikel freundlicherweise eine Zusammenfassung des Behandlungsverlaufs zur Verfügung gestellt. Leyla war zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme nicht stehfähig, verlor Kot und Urin, zeigte hochrote Schleimhäute, starkes Speicheln, eine innere Körpertemperatur von 39,7°C, geweitete Pupillen und generalisiertes Zittern. Nach sofortigem Legen eines venösen Zuganges (Venenkatheter) wurde mit einer Schockinfusion begonnen. Dann bekam Leyla zur Sedierung Diazepam und Buprenorphin, bevor mit Propofol eine Narkose eingeleitet und nach Intubation mit Narkosegas (Isofluran) unterhalten wurde. Daraufhin konnte eine Schlundsonde gelegt und der Magen gespült werden. Um eventuell verbleibende Giftstoffe zu binden, wurden über die Sonde 200 ml Flüssigkohle (Carbodote) verabreicht.


Diese Maßnahmen führten relativ schnell zu einer Stabilisierung von Leylas Zustand. Sie blieb dann noch unter stationärer Überwachung und wurde am nächsten Tag bei wieder gutem Befinden nach Hause entlassen. Die Hündin ist also mit einem blauen Auge davon gekommen, was in solchen Fällen leider nicht selbstverständlich ist. Zu diesem Ausgang haben ganz wesentlich die schnelle Reaktion der Besitzer und das entschlossene Vorgehen der behandelnden Praxis beigetragen.


In einem Komposthaufen finden - nicht zuletzt abhängig davon, was da so alles rein gegeben wird - ganz und gar unberechenbare Zersetzungsprozesse statt. An diesen Prozessen können sowohl toxinbildende Pilze als auch anaerobe Bakterien wie Clostridium botulinum beteiligt sein. Letztere bilden Botulinumtoxine, die bei Mensch und Tier das berüchtigte und sehr gefährliche Krankheitsbild des Botulismus auslösen. Botulinumtoxin gilt als das für höhere Lebewesen tödlichste bekannte Gift.


Der Hund ist im Vergleich zum Menschen und zu anderen Tierarten zwar relativ unempfindlich gegen Botulinustoxin, aber es kann ihn trotzdem definitiv erwischen. Leylas Symptome sprechen zumindest teilweise dafür, dass dies hier der Fall war, obwohl ein fortgeschrittener Verlauf von Botulismus eigentlich eher durch schlaffe (und dann sehr lange anhaltende) Lähmungen als durch Zittern und Krämpfe gekennzeichnet wird. Tückisch ist, dass zwischen Aufnahme von Botulinumtoxin und der Entwicklung von Symptomen ganz unterschiedliche Zeiträume (von Stunden bis Tage) vergehen können. Wie oben schon erwähnt, wurde wahrscheinlich durch die sehr schnelle Reaktion der Besitzer und die entschlossene medizinische Intervention die Ausprägung der klassischen und schlimmeren Botulismussymptome verhindert. Außerdem mögen noch andere nicht näher zu bezeichnende Toxine an dem Geschehen beteiligt gewesen sein.


Ein anderer Mechanismus von "Kompostvergiftung" beruht auf der Wirkung einer Überdosis Koffein. Kaffeesatz wird ja sehr häufig auf den Komposthaufen gegeben und dann eventuell zusammen mit anderen und für den Hund attraktiven Dingen aufgenommen. Bei einem Fall in eigener Praxis konnten wir die beunruhigenden Symptome des betreffenden Hundes (hochgradige Erregung mit Lautäußerungen, Hecheln, Zittern, knallrote Schleim- und Bindehäute, Pulsrasen mit Extrasystolen, Krampfneigung, etc.) erst richtig einordnen, als er sich kurz nach Ankunft spontan erbrach und plötzlich das ganze Sprechzimmer intensiv nach Espresso roch. Auch dieser Fall war mittels des oben beschriebenen Vorgehens zügig in den Griff zu bekommen.


Es wird aber wohl jedem klar sein, dass das nicht immer so optimal ausgehen muss. Ist der Hund eventuell mehrere Stunden unbeaufsichtigt im Garten, sind wesentlich üblere Verläufe bis hin zu einem hässlichen Tod vorstellbar. Komposthaufen sollten also grundsätzlich auch gegen noch so energische Zugriffe durch Hunde gut gesichert sein. Wie Leylas Fall zeigt, kann auch ein Hund, der schon seit Jahren im Haus und ein eher wählerischer Fresser ist, plötzlich doch auf den Gedanken verfallen, dass genau jetzt eine glänzende Gelegenheit wäre, den schon immer vorhandenen Komposthaufen mal gründlich auf eine kleine Zwischenmahlzeit zu untersuchen.


Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr


Ralph Rückert


 


© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm


Sie können jederzeit und ohne meine Erlaubnis auf diesen Artikel verlinken oder ihn auf Facebook teilen. Jegliche Vervielfältigung oder Nachveröffentlichung, ob in elektronischer Form oder im Druck, kann nur mit meinem schriftlich eingeholten und erteilten Einverständnis erfolgen. Von mir genehmigte Nachveröffentlichungen müssen den jeweiligen Artikel völlig unverändert lassen, also ohne Weglassungen, Hinzufügungen oder Hervorhebungen. Eine Umwandlung in andere Dateiformate wie PDF ist nicht gestattet. In Printmedien sind dem Artikel die vollständigen Quellenangaben inkl. meiner Praxis-Homepage beizufügen, bei Online-Nachveröffentlichung ist zusätzlich ein anklickbarer Link auf meine Praxis-Homepage oder den Original-Artikel im Blog nötig.