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Was ist ein tiermedizinischer Notfall in Zeiten der Corona-Pandemie?

01.04.2020

Von Ralph Rückert, Tierarzt


Von offizieller Seite, unter anderem von einigen Landestierärztekammern, wird uns Praxis- und Klinikinhabern geraten, uns in diesen Zeiten der COVID-19-Pandemie möglichst auf die Behandlung von tiermedizinischen Notfällen zu beschränken und alle anderen Terminanfragen abzulehnen.


Klingt auf den ersten Blick eigentlich ganz vernünftig. Die Frage ist nur: Was ist denn unter Berücksichtigung der aktuellen Situation ein tiermedizinischer Notfall? Und genau vor der Beantwortung dieser Frage hat sich bisher noch jede der solche Empfehlungen oder Richtlinien aussprechenden Einrichtungen erfolgreich gedrückt. Also gehen wir das jetzt mal unter Anwendung des gesunden Menschenverstandes selber an.

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Eine Prämisse können wir gleich aufstellen: Was ein Notfall ist, hängt nicht zuletzt davon ab, von welchen Zeiträumen die Rede ist. Ein einfaches Beispiel: Rufen Sie mich am Freitagabend um 22.30 Uhr über meine Notrufnummer an und schildern mir, dass die Leptospirose-Impfung Ihres Hundes vorgestern abgelaufen und deshalb überfällig wäre, brauchen Sie viel Glück, damit ich Ihnen nicht über die Telefonleitung ins Gesicht springe.


Nun sind wir aber alle miteinander gerade aufgrund der Pandemie einer Infektionsgefahr und überdies den drastischsten Einschränkungen (Bewegungs-, Reise-, Versammlungsfreiheit, etc.) unterworfen. Ich bin kein Hellseher, aber letztendlich wird man damit rechnen müssen, dass dieser Zustand im besten Fall noch für Wochen, eher aber sogar für Monate anhält.


Unter diesem Aspekt ist die überfällige Leptospirose-Impfung Ihres Hundes zwar immer noch kein echter Notfall, aber doch eine Maßnahme, die nun mal relativ zeitnah durchgeführt werden muss. Speziell diese Impfung wirkt nämlich wirklich allenfalls ein Jahr, dann reißt der Impfschutz relativ hart ab. Da die Saison der Leptospirose gerade beginnt, tut es ein Aufschieben der Auffrischung über Wochen einfach nicht. Es kann ja nicht angehen, dass wir als Folge der Corona-Pandemie beim Menschen in diesem Sommer dann einen steilen Anstieg der (fast grundsätzlich lebensbedrohlichen!) Leptospirose-Fälle beim Hund sehen.


Ebenso verhält es sich mit den Grundimmunisierungs-Impfungen junger Tiere. Auch diese können wir nicht guten Gewissens für Wochen verschieben. Ein Ausnahme sehe ich bei Auffrischungsimpfungen erwachsener Tiere gegen die Viruserkrankungen (Staupe, Hepatitis, Parvovirose, Tollwut). Da kann man bei ansonsten korrekt eingehaltenen Impfintervallen ruhig davon ausgehen, dass die Schutzwirkung um einiges länger anhält als die im Impfpass vermerkte Gültigkeitsdauer.


Aber, der nächste Haken: Überschreiten Sie jetzt das Gültigkeitsdatum einer Tollwutimpfung, entsteht bis zur anerkannten Wirksamkeit für den internationalen Reiseverkehr eine Karenzzeit von 21 Tagen. Irgendwie rechnet ja niemand so wirklich damit, dass wir dieses Jahr noch groß mit Hund in den Auslandsurlaub fahren, sollte es aber doch unerwarteterweise vor der Hochsaison zu einer Lockerung der Pandemie-Gegenmaßnahmen und damit zu einem Zeitfenster für einen Urlaub kommen, sind Sie der Gelackmeierte, wenn die Tollwutimpfung Ihres Hundes nicht aktuell gehalten worden ist.


Die nächste "Banalität", von der jetzt gerade immer abgeraten wird, sind Kastrationen. Auch das ist für mich nicht wirklich nachvollziehbar. Eine Freiläufer-Katze MUSS natürlich rechtzeitig kastriert werden, um ungewollten Trächtigkeiten und bestimmten Infektionskrankheiten (FIV) vorzubeugen. Und auch eine Stubenkatze kann man nicht einfach über Monate dauerrollig werden lassen, ohne ihr schwersten Schaden zuzufügen.


Eine festsitzende Zecke am Innenschenkel Ihres Hundes, die Sie einfach nicht entfernt bekommen? Ja, die mache ich auch lieber heute schnell raus, als dann in einer Woche einen riesigen Zeckenabszess behandeln zu müssen. Oder nehmen wir einen Zahnzustand wie auf dem Foto oben: Sowas tut rasant weh und schadet dem gesamten Organismus, muss also schleunigst behoben werden! Diese Beispiele könnte man jetzt ewig fortführen, aber ich denke, dass Sie schon verstanden haben, was ich meine.


Dazu kommt, dass wir bereits jetzt, nach diesen paar Tagen Kontaktsperre, die eine oder andere Erkrankung gesehen haben, die von den Besitzern in übergetreuer Einhaltung der neuen Regelungen oder aus echter Angst vor einer Corona-Infektion durch Eigenbehandlung mit von Dr. Google und Schwester Facebook empfohlenen Hausmittelchen unnötig verschleppt bzw. verschlimmbessert worden ist. Das ist Käse, Leute! Wir müssen aufpassen, dass die Pandemie-Gegenmaßnahmen nicht reihenweise in Tierschutzverletzungen münden!


Fazit: Rufen Sie doch bitte einfach an wie gewohnt! Wir sortieren dann schon aus, was im Moment wirklich nicht sein muss. Häufig werden wir aber sicher nicht zu diesem Schluss kommen, weil Tiere nun mal schon per se kaum aus reinen Wellness-Gründen oder für eine Blaumach-Krankschreibung zum Tierarzt kommen. Und haben Sie bitte für sich selbst keine Angst vor einer Ansteckung mit COVID-19! Angesichts der von uns praktizierten Infektionsschutzmaßnahmen, die ich ja in einem anderen Artikel schon genauer erläutert habe, ist jeder Einkauf im Supermarkt zehnmal riskanter als ein Besuch in unserer Praxis.


Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr


Ralph Rückert


 


© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm


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