28.04.2013
Von Ralph Rückert, Tierarzt
Im ersten Teil unserer Hundefutter-Serie haben wir diskutiert, dass es bezüglich der Nahrungsanforderungen eines Hundes sinnvoll sein kann, sich seine genetische Herkunft und seinen ursprünglichen Verwendungszweck ins Gedächtnis zu rufen. Das sind individuelle Eigenschaften. Der Haushund (Canis lupus familiaris) an sich gehört zoologisch in die Ordnung der Raubtiere (Carnivora) und wird dementsprechend auf Deutsch als Fleischfresser bezeichnet. Ist das korrekt?
Klare Antwort: Nein! Was für den Wolf stimmt, ist für den Hund schon lange nicht mehr zutreffend. Hunde begleiten uns seit Tausenden von Generationen und richten - wie schon besprochen - ihre Ernährungsgewohnheiten ebenso wie wir an regionalen Gegebenheiten aus. Und sie haben in zunehmendem Maß vor allem das gefressen, was wir ihnen übrig gelassen oder abgegeben haben. Das war und ist selbstredend nicht immer nur Fleisch. Man mache sich bewusst, was für ein Luxusartikel Fleisch zu verschiedenen Zeiten für Menschen war und in einigen Weltregionen immer noch ist.
Somit ist der Hund vom ehemaligen Fleischfresser zum funktionellen Allesfresser geworden. Er kommt (noch) nicht mit allem klar, was wir verdauen können, aber mit sehr vielem. Erst in letzter Zeit möglich gewordene genetische Untersuchungen beweisen die der des Wolfes weit überlegene Kohlenhydrat-Toleranz des Haushundes. Canis lupus familiaris ist darauf eingestellt, sich seine tägliche Ration irgendwie zusammen zu klauben. Wie wir alle wissen, sind unsere Hunde ständig im Suchmodus nach etwas Fressbarem und dabei durchaus experimentierfreudig bis waghalsig. Ein Hund neigt dazu, die Verträglichkeit eines potenziellen Nahrungsmittels mit seinem Magen zu überprüfen: Bleibt es unten - fein, kommt es wieder hoch - schade. Hunde übergeben sich sehr schnell und Erbrechen ist für den Hund bei weitem nicht so dramatisch wie für uns, eine wichtige Eigenschaft für einen Müllschlucker. Eigenes und fremdes Erbrochenes wird (meist zu unserem Entsetzen) zur Not auch noch mal zwecks Überprüfung der Verdaulichkeit in den Magen geschickt.
Die ganze Rumschnüffelei während eines Spazierganges dient ganz prosaisch eigentlich nur drei Zwecken: Erstens: Irgendwas zum Fressen zu finden, entweder etwas, was einfach rumliegt wie Abfälle oder Aas, oder etwas, was man erst jagen und umbringen muss. Zweitens dem Fortpflanzungsverhalten mit all seinen Facetten. Diesen beiden Primärzielen untergeordnet ist dann noch die territoriale Kontrolle. Ernährung (Überleben) und Fortpflanzung - das war's, darum geht es. Viele unserer Hunde sind aber kastriert und können entsprechend noch mehr Zeit und Energie in die Futtersuche stecken. Sie sehen, es ist nicht überraschend, dass Ihr Hund ständig auf der Suche nach Fressbarem ist.
Im Prinzip zeigen Hunde also das Fressverhalten von Überlebenskünstlern, die sich in enger Vergesellschaftung mit Menschen durch die Jahrtausende geschlagen haben. Wählerisch zu sein war für Hunde nie eine echte Option. Deshalb kann für einen Hund eine volle Baby-Windel ein genau so attraktives Nahrungsangebot wie ein Stück Käsekuchen oder ein vor sechs Tagen überfahrenes Kaninchen sein. Natürlich ist auch in dieser Beziehung jeder Hund anders. Je lückenloser und ausgewogener die Ernährung eines Hundes von klein auf gestaltet wurde, desto wählerischer wird er sich meist später verhalten. Die Bereitschaft, wirklich alles zu versuchen und sich nie auf den Weiterbestand einer Futterquelle zu verlassen, sieht man oft am deutlichsten ausgeprägt bei Hunden, die über Tierrettungsaktionen nach Deutschland kommen und zuvor im Herkunftsland mehr oder weniger lang für sich selber sorgen mussten.
Wir können also festhalten: Die Neigung, sich alles auch nur im Entferntesten Fressbare dadurch zu sichern, dass man es fix im Magen verschwinden lässt, war und ist für Hunde überlebenswichtig. Verzweifeln Sie also nicht, Ihr Hund hat keine Schraube locker. Und es wird sehr vieles vertragen und auch verarbeitet, was uns schaudern lässt. Gelegentliches Erbrechen und ein paar Durchfall-Episoden pro Jahr sind fester Bestandteil solcher Ernährungsgewohnheiten.
Für die tägliche Ernährung bedeutet das: Man muss sich bei Weitem nicht so viele Gedanken machen, wie viele Hundebesitzer glauben. Keineswegs muss jede Mahlzeit eines Hundes perfekt ausgewogen sein. Ganz im Gegenteil: Wie wir Menschen sind Hunde durchaus dazu in der Lage, wochen- und monatelange Fehl- oder Mangelernährung zu überstehen. Sollten Sie also dazu neigen, die eine oder andere Ration Ihres Hundes mit attraktiven Resten Ihrer Mahlzeiten zu ersetzen, geht das völlig in Ordnung. Und auch wenn Ihr Hund auf dem Wochenmarkt den Jackpot zieht und eine ganze Bratwurst oder ein halbes Döner findet, ist das kein Unglück. Auch eine Vorliebe für Apfelbutzen wie bei unserem Nogger oder für Wassermelone wie bei Laurin stellt überhaupt kein Problem dar. Natürlich können solche Eskapaden gelegentlich Blähungen, Durchfall oder Erbrechen auslösen, bleibender Schaden wird aber sicher nicht entstehen.
Damit kommen wir auch gleich zu den wie immer vorhandenen Einschränkungen: Es gibt ein paar Nahrungsmittel, bei denen Sie möglichst lückenlos dafür sorgen sollten, dass sie von Ihrem Hund auf keinen Fall aufgenommen werden, weil sie wirklich gefährlich sind: Rosinen und Weintrauben (auch in kleinsten Mengen), Schokolade (je dunkler, desto riskanter), Zwiebeln (mögliche Probleme ab 10 g pro kg Körpergewicht), Avocado (ganze Frucht und Kern, auch kleinere Mengen), rohe Kartoffeln und Bohnen. Und, da Hunde alles mögliche versuchen: Vorsicht mit Tabletten! Besonders die Anti-Baby-Pille, bestimmte Herzmedikamente und das Schmerzmittel Diclofenac (Voltaren) sind sehr gefährlich.
Das Fressen von Aas oder von Kot aller möglichen Spezies inklusive Katze, Hund und Mensch mag für uns zwar wirklich ekelhaft wirken, ist aber durchaus nicht abartig. Das Jagen, Töten und Fressen von Kleinnagern wie Mäusen gehört vollständig zum Verhaltensrepertoire des Haushundes, und manche Exemplare entwickeln darin wahre Meisterschaft. Beide Gewohnheiten (Kot-/ Aasfressen und das Vertilgen von kleinen Beutetieren) führen aber zu einem deutlich erhöhten Risiko für Wurminfektionen, die auch für uns Menschen gefährlich werden können. Deshalb muss in diesen Fällen häufiger (monatlich!) entwurmt oder eine Kotuntersuchung veranlasst werden.
So, damit wäre der eklige Teil dieses Themenkreises erledigt. Nächste Woche wird es wieder appetitlicher, versprochen.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Bei den Quellen 16, 89077 Ulm / Söflingen